Wenn die Rente nicht reicht

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Das durchschnittliche Alter obdachloser Menschen liegt zwischen 40 und 50 Jahren – doch das schließt viele ältere Menschen keineswegs aus. Viele von ihnen sind weit über 65 und leben dennoch auf der Straße, weil ihre Rente schlichtweg nicht zum Überleben reicht. In diesem Artikel möchte ich das Augenmerk auf diese Senioren richten, die nach einem langen Arbeitsleben gezwungen sind, sich bei Wind und Wetter hinzusetzen und auf ein paar Münzen zu hoffen oder in Mülleimern nach Pfandflaschen zu suchen. Für manche reicht selbst das nicht, und sie sind auf beides angewiesen, um den Tag zu überstehen.

 

Aber warum ist das so? Warum trifft Altersarmut und Obdachlosigkeit gerade diese Generation so hart? Um das zu verstehen, müssen wir einen Blick zurückwerfen, auf die Zeit, in der viele dieser Menschen aufgewachsen und in die Arbeitswelt eingetreten sind.

Ein Großteil der heute älteren obdachlosen Menschen stammt aus einer Zeit, in der Arbeitsverhältnisse, soziale Absicherung und Bildungschancen in vielerlei Hinsicht anders strukturiert waren. Die 1950er- und 1960er-Jahre waren geprägt von einem anderen Verständnis von Arbeit und Lebensplanung. Es war üblich, schon früh ins Berufsleben einzusteigen, oft direkt nach der Schulzeit, ohne Möglichkeit oder Aussicht auf eine formale Ausbildung oder ein Studium. Junge Menschen traten als ungelernte Arbeitskräfte in Fabriken, landwirtschaftliche Betriebe oder handwerkliche Berufe ein. In diesen Berufsfeldern stand weniger das eigene Einkommen als die Sicherung der Familie im Vordergrund. Das Thema Altersvorsorge hatte für die meisten eine niedrige Priorität – auch, weil die durchschnittliche Lebenserwartung niedriger war und davon ausgegangen wurde, dass der Staat oder die Familie im Alter Unterstützung leisten würden.

In dieser Zeit galt der Sozialstaat als feste Größe, die in wirtschaftlich sicheren Zeiten eine allgemeine Absicherung bot. Die Gesellschaft befand sich im Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg, und es herrschte Vertrauen darauf, dass das soziale Netz tragfähig genug sei. Die Vorstellung von einer auskömmlichen Rente war weniger präsent; vielmehr wurde das Einkommen häufig für den täglichen Bedarf genutzt, während Investitionen in eine private Altersvorsorge selten vorkamen.

 

Der Wandel der Arbeitswelt und der Rentenpolitik

In den darauffolgenden Jahrzehnten hat sich der Arbeitsmarkt grundlegend verändert. In den 1980er-Jahren begann die Zahl der prekären Beschäftigungen, Teilzeitjobs und Minijobs stetig zu steigen. Eine klare und dauerhafte Festanstellung mit Altersvorsorge war plötzlich keine Selbstverständlichkeit mehr. Dieser Wandel hat besonders die nun älteren Generationen getroffen, die in den 80er- und 90er-Jahren oft kaum Möglichkeiten hatten, aus prekären Arbeitsverhältnissen herauszukommen oder in stabile Arbeitsverhältnisse zurückzukehren. Die Entwicklung hin zu immer flexibleren und weniger abgesicherten Beschäftigungsformen machte es schwierig, kontinuierlich in die Rentenkasse einzuzahlen oder gar in eine private Altersvorsorge zu investieren.

Der Staat hatte mittlerweile viele Rentenansprüche reformiert und Rentenlücken begannen sich aufzutun, besonders bei all jenen, die wenig oder unterbrochen in die Rentenkasse eingezahlt hatten. Menschen, die auf dem Arbeitsmarkt keine feste Anstellung fanden oder aus gesundheitlichen Gründen frühzeitig ausscheiden mussten, standen plötzlich ohne umfassende Absicherung da. Die betroffenen Menschen wurden zunehmend anfällig für Altersarmut, da die bestehenden Rentensysteme häufig nicht ausreichten, um einen würdevollen Lebensabend zu sichern.

Heute stehen viele dieser Menschen mit geringen Rentenansprüchen und ohne ausreichende Ersparnisse vor dem Problem, dass selbst eine minimale Wohnungsmiete oder Grundversorgung außerhalb ihrer Reichweite liegt. Hinzu kommt, dass die Kosten für Wohnraum in vielen Städten und Ballungszentren stark gestiegen sind, während die Renten auf einem stagnierenden Niveau verharren. Für viele bedeutet dies den unvermeidbaren Weg in die Altersarmut und im schlimmsten Fall auf die Straße.

 

Ungleichheit und die Auswirkungen des Rentensystems

Ein erheblicher Teil der Altersarmut lässt sich auf strukturelle Schwächen im Rentensystem zurückführen, die sich in den letzten Jahrzehnten verschärft haben. Menschen, die in Niedriglohnsektoren arbeiteten oder nur zeitweise beschäftigt waren, erhalten häufig nur eine sehr geringe Rente, die kaum zum Leben reicht. Auch befristete Arbeitsverträge, Teilzeitbeschäftigungen und Minijobs haben dazu geführt, dass für viele keine kontinuierlichen Rentenansprüche aufgebaut werden konnten. Dies trifft insbesondere jene, die ihr Leben lang in Bereichen tätig waren, in denen Löhne und Gehälter ohnehin niedrig angesetzt sind, wie in der Gastronomie, Reinigung oder Pflege.

Besonders gravierend zeigt sich die Rentenproblematik bei Frauen. Jahrzehntelang war es gesellschaftlich akzeptiert, dass Frauen eher zuhause blieben, um sich um Kindererziehung und Haushalt zu kümmern, was den Wiedereinstieg ins Berufsleben erschwerte und in vielen Fällen zur Unterbrechung oder Verkürzung der Berufstätigkeit führte. Da das deutsche Rentensystem überwiegend auf Erwerbsarbeit basiert, erhalten Frauen, die viele Jahre mit Erziehung und Pflege verbracht haben, im Alter oft nur eine geringe Rente oder sind sogar komplett auf die Grundsicherung angewiesen. Häufig sind es dann genau diese Frauen, die im Rentenalter gezwungen sind, zusätzliche Einkünfte zu suchen, um über die Runden zu kommen.

Auch Männer, die aufgrund von langjährigen Niedriglohntätigkeiten und instabilen Arbeitsverhältnissen keine ausreichenden Rentenansprüche aufbauen konnten, sind stark betroffen. Für viele bleibt die traurige Realität, dass sie sich in einer prekären finanziellen Lage wiederfinden.

Diese strukturellen Schwächen im Rentensystem, kombiniert mit der sozialen Isolation, in die viele der Betroffenen geraten, treiben immer mehr Menschen in die Altersarmut – und in extremen Fällen sogar auf die Straße.

 

Die Folgen der Altersarmut für die Betroffenen

Für viele ältere Menschen bedeutet das Leben auf der Straße nicht nur eine materielle Not, sondern auch den Verlust von Würde und Selbstbestimmung. Sie sind oft nicht mehr in der Lage, selbstständig aus dieser Situation herauszukommen, da das körperliche und psychische Wohlbefinden bereits stark unter dem Leben auf der Straße leidet. Hier greifen viele auf Hilfen zurück, die allerdings nicht immer die langfristige Unterstützung bieten, die sie benötigen.

 

Politische und gesellschaftliche Konsequenzen
Diese Lebensrealitäten werfen wichtige Fragen für die Gesellschaft und die Politik auf. Was muss getan werden, um Altersarmut zu verhindern? Wie kann ein rentenpolitisches Umdenken aussehen, das auch Menschen ohne lückenlose Erwerbsbiografie schützt?

Diese Menschen sind das lebendige Beispiel für ein soziales Problem, das dringend mehr Aufmerksamkeit braucht. Altersarmut ist kein Einzelschicksal, sondern das Resultat struktureller Missstände, die eine gerechtere und umfassendere Lösung fordern.

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